AMBER BENSON
 
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Interview
 

14.03.2003, F.A.Z.

Amber Benson
Jobwunder

Talent – was soll das sein? Der schöne Hals, das scharfe Auge, die duftenden Haare und der rege Witz: angeborene auszeichnende Attribute mag es geben, wenn auch ihr Lob immer riecht, als wehe es uns aus Zeiten an, da die meisten Menschen glaubten, erbliche Bevorrechtigung launischer Inzuchtprodukte sei eine tolle Verfahrensweise, den gesellschaftlichen Umgang der Menschen miteinander zu ordnen ("Adel").
Lassen wir ideelle Vorzüge also mitunter angeboren sein - wie viele solcher Talente passen dann, um terminologisch mit der Zeit zu gehen, eigentlich auf ein Genom? Mehr als auf jede Kuhhaut jedenfalls, wenn die Erfolge der 1977 geborenen Amber Nicole Benson beweiskräftig sind. Für alle Eventualitäten ihrer diversen Berufe gerüstet mit Herzensbildung, Grazie, Haltung, Verstand, Anmut, Wärme und was ihr wollt, gewann diese Frau zunächst in ihrer Herkunftsstadt Birmingham/Alabama, dann bald in aller Welt zahlreiche Fans als Tänzerin (mit der Alabama Ballet Company), Comic-Autorin (für "Dark Horse"), Filmschauspielerin (in Filmen wie Steven Soderberghs "King of the Hill" von 1993 oder Gregory Moshers "The Prime Gig" von 2001), Fernsehdarstellerin (als Tara Maclay in "Buffy, the Vampire Slayer"), Sängerin (ihr Stück auf dem Album zum "Buffy"-Fernsehmusical ist das gesanglich souveränste) und seit letztem Jahr auch als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin, deren erster eigener Film "Chance" sie außerdem in der Titelrolle zeigt - als Mädchen namens Zufall, das unter gegenwärtigen urban-westlichen Bedingungen nach Liebe und Glück sucht, was von einer Unabhängigen, Eigensinnigen und Phantasiefähigen eine Menge Humor verlangt.
Es sind dies nämlich Bedingungen, unter denen auch "Talent" eine neue Bedeutung bekommt: die einer anstrengenden Sorte Lebensmanagement in den krisengeschüttelten Metropolen eines von sich selbst umzingelten Westens im Reiche Pop. Die heute fünfundzwanzig- bis fünfunddreißigjährigen Kreativen, die man deshalb nicht gleich bemitleiden muß, werden von den großen Copyrightverwertern einerseits ständig mit der Forderung angebrüllt, flexibel und kreativ zu sein, andererseits aber sollen sie die Voraussetzung dafür, eben Eigensinn und Phantasie, auf eigene Rechnung ewig vorfinanzieren: Niemand arbeitet heute als Drehbuchautorin beim Fernsehen, die nicht an ihren unerreichbaren Spielfilm denkt, die meisten jungen Redakteure gehen mit Romanen schwanger, und der frischgebackene Kulturwissenschaftler muß aufpassen, daß er sich seine Zeit zwischen Lektüre und Plattenhören professionell genug einteilt.
Amber Benson hat das Geld für ihren Film, dessen Premiere beim "Sidewalk Film Festival" ihrer Geburtsstadt letztes Jahr per Internet unterrichtete Fans sogar aus dem alten Europa anlockte, auch bei diesen Fans gesammelt. Die Idee, die eigensinnige, zunächst unbezahlte Kunst von denen bezahlen zu lassen, die zufriedene Kunden der bezahlten sind, verrät mehr als Talent - hier muß ein Wort her, das einmal besseres bedeutete als sein aktueller Sinn, der bloß "Zerebralwucht" meint; ein Wort das man, jener neuen Zustände bewußt, in seine alten Rechte setzen sollte: Genie.
Dietmar Dath

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