AMBER BENSON
 
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Director’s Cut
Interview mit Amber Benson
7.12.2003, Offenbach
6. Lesen, Zusammenarbeiten & Zuhören

1. Magie, Multitasking und Motivation
2. Film, Fernsehen und Familie
3. Die Sache im Griff haben
4. "Chance", Sex und Macht
5. Die technischen Einzelheiten der Inspiration


Was liest Du gern?

Oh Gott. Na ja, Dostojewski mag ich sehr. Die ganze hohe russische Tragödie. Das ist manchmal auch lustig, und es gibt Magie, und Schicksal. Doppelgänger und so fort... aber ich liebe "Der Idiot". Es ist die messianische Geschichte – er tritt vor, und wird vernichtet, muß untergehen, sie sind nicht bereit, zu akzeptieren, worum es geht. Ich liebe Thomas Hardy, "Schau Heimwärts, Engel" ist auch ein wunderbares Buch, auch wieder Magie und Realismus. Magischer Realismus im engeren Sinne bezieht sich natürlich nur auf diese südamerikanische Autorengruppe – das kommt natürlich alles vom Katholizismus, die Sache mit den Heiligen, man hat also einen Heiligen, der diese Wunder bewirken kann, eine Hochzeit von Magie und Aberglauben, eine Verbindung der etablierten und der von unten kommenden Ideen darüber, worum es eigentlich geht. Hermann Hesse, auch ein Liebling – Steppenwolf, Narziß und Goldmund, Demian. Und natürlich liebe ich Harry Potter. Überhaupt Kinderbücher: Die Chroniken von Narnia, diese Sachen. Da geht die Tür auf zu zahllosen Welten.

Und wenn man Lewis liest, stellt man fest, das religiöse Moment ist gar nicht so apologetisch, so propagandistisch drin, wie immer behauptet wird...

Es ist allegorisch. Man nimmt die Moral mit, sie wird einem ins Hirn eingesenkt, aber, na ja...
Joseph Campbell war im Fernsehen, auf PBS, sie haben ihn auf der Skywalker Ranch gefilmt, das Ding ging sechs Stunden und wir saßen da und schauten zu und ich dachte: ich will auch Mythologin werden. Er redet über die Reise, die eine Figur erlebt, ein Held, und natürlich ist das genau so in den Narnia-Büchern. Aber dann wurde mir klar, daß es nicht die Mythen waren, die mir gefielen, sondern die Geschichten. Diese Geschichten sind alle miteinander verbunden. Es gibt eigentlich nur eine Handvoll Geschichten, und der Rest sind Varianten, Lesarten dieser oder jener Geschichte.

In allen möglichen Medien. Du hast ja auch Comics geschrieben, mit Christopher Golden gearbeitet...

Chris ist klasse. Ich habe so viel von ihm gelernt.

Wie arbeitet ihr zusammen?

Na, wir treffen uns und... meistens nicht buchstäblich, denn er sitzt am einen Ende der Vereinigten Staaten und ich am andern, also reden wir übers Telefon oder mailen uns was, und dann kommt das in Gang. Er ist sehr... er sieht Ideen. Ich sehe Details. Also ergänzen wir einander. Chris hat eine Idee, oder ich habe eine, und dann hämmern wir uns das zurecht. Er hilft mir dabei, daß die Formen stimmen. Zum Beispiel bei "Ghosts of Albion", dem animierten Ding für die BBC. Im wesentlichen schreibt er eine Outline, oder ich, und dann geht es hin und her. Ich habe Outlines immer gehasst, aber Chris hat mir gezeigt, wie man das auf eine Art machen kann, die ansprechend ist und nicht so, als ob man...

Sich selber einen Witz erzählt.

Eben, und dann wird einem langweilig, jedenfalls wenn man es fünfzehn mal hintereinander macht. Dann zerstückeln wir die Outline und er nimmt die ersten beiden Teile, ich die nächsten beiden. Es geht so hin und her, und wir schicken uns Notizen zu dem Teil, den der oder die andere geschrieben hat, komische Sachen, oder Zeug, das man reparieren muß. Wir schreiben gerade ein Skript, das wir nächstes Jahr in Irland drehen wollen, ein Horrorfilm. Und wir schreiben zwei "Ghosts of Albion"-Romane für Del Rey, das macht mich wirklich nervös, denn das einzige bißchen Prosa, das ich bis heute geschrieben habe, waren diese zwanzig Seiten für "Ghosts of Albion". Ich liebe Dialoge, ich liebe alles, auch Beschreibungen, aber ich bin ungeduldig. Ich glaube, ich bin auf diese Welt gekommen, um Geduld zu lernen. Also, Romane schreiben... man braucht, na ja, man kann es nicht einfach so tun. Wenn man Drehbücher schreibt, ist das anders: das ist das einzige Medium, in dem mein Hirn nicht schneller arbeitet als meine Hände. Bei Romanen aber muß man über all dieses beschreibende Zeug nachdenken, und man muß sich fragen: wie klingt das. Ich lese sehr schnell, und es aufzuschreiben dauert so viel länger...

Als ob man monatelang glaubwürdig lügt. OK, zwei Fragen über Musik. Die erste ist nicht so doll: Was hörst Du Dir privat an, oder beim Arbeiten?

Tja, ich liebe Musik. Wenn ich schreibe, muß ich Stimmung herstellen, wenn ich also was Grusliges oder was Science-fiction-haftes schreibe, höre ich Arvo Pärt, der hat ein Stück komponiert namens "Te Deum", das ist einfach schön und unheimlich, ich mache mir Angst, wenn ich das höre. Dann gibt es diesen Gary Jules-Song, "Mad World", vom Donnie-Darko-Soundtrack. Und Wilco, und ich liebe Jeff Buckley, der ist mein Lieblingsmusiker.

Zweite Musikfrage, vielleicht nicht so öde. "Buffy" ist unter anderem dafür bekannt, daß die Show Musik einbezieht, sich anverwandelt, auch selber produziert. Bei "Chance" hast Du Dir ganz offensichtlich eine Menge Gedanken darüber gemacht, wie sehr Musik das Leben dieser Figuren durchdringt. Diese Sequenzen, die wie Musikvideos aussehen...

Es gibt diesen Film namens "A Lucky Man" von Lindsey Anderson, mit Malcolm McDowell, großartiger Film, bizarr, ganz eigenartig. Gehört zu diesem ganzen britischen Genre aus den Sechzigern und Siebzigern, diesem absurden Kino, zu dem auch "Clockwork Orange" gehört... und in diesem Film haben sie als Übergänge diese Musiker reingeschnitten, die den Soundtrack einspielen, und dann wird vor und zurückgeschnitten, zwischen der Handlung und diesem Ding. Das ist ein Lieblingsfilm von mir. Das war eine Inspiration für uns, es stand so nicht im Buch. Da haben wir uns dann mit Grant Langston unterhalten, der die Songs geschrieben hat, und die Idee war: wir zeigen ihn einfach im Film.

Er wird so was wie ein zweiter Erzähler, ein Kontrapunkt zu Chances Sicht.

Er erzählt was und gibt uns seine Sicht, es ist Rede und Antwort. Es sagt: Laßt uns mal drüber nachdenken. Aber es ist nicht didaktisch, sondern drückt die Idee kreativ aus, man will ja nicht das Gefühl haben, daß jemand von oben herab mit einem redet, das muß man nach Möglichkeit vermeiden. Als wir mit der Nachbearbeitung anfingen, wurde mir klar, wie sehr man Leute mit Musik beeinflusst. Man begreift Dank der Musik, daß gleich jemand ermordet wird, daß es gleich Sex zu sehen gibt. Spielberg macht das gern. Er sagt dir, was du denken sollst. Das erweckt den Eindruck, als ob da jemand sagt: mein Publikum ist nicht besonders helle. Ich habe da mehr Zutrauen. Ich denke, sie sind denkende Menschen und sollten was mitnehmen können. Die Musik darf was zeigen, aber nichts erklären. Wir wollten den Leuten nicht aufdrücken, wie sie sich fühlen sollen. Und dann hat uns dieser Typ namens Aaron Furchtman den Soundtrack geschrieben, der überhaupt nicht aufdringlich ist.

Wenn man den Film zum ersten mal sieht, konzentriert man sich auf die Songs und merkt vielleicht gar nicht, daß es da noch mehr Musik gibt.

Genau darum ging es. Es mischt sich nicht ein, drängt sich nicht auf, aber es fügt was hinzu. Ich meine so was wie diese klaustrophobische Atonalität bei dem Zeug im Krankenhaus: man merkt nicht, daß man da was hört. Beim zweiten Anschauen aber: Was ist das? Irgendeine bizarre Komposition, vorübergehender Irrsinn. Und "Chance" ist sein erster Soundtrack. Er ist einundzwanzig.

(D. Benson: Jetzt geht er zurück an die UCLA und macht diesen intensiven Kurs in Komposition).

Er ist der Cousin eines Freundes. Und wir hatten diese tollen Jazzmusiker, die reinkamen und das alles aufgenommen haben. Hat mehr Geld gekostet als das meiste andere, aber es war’s wert.

Vor allem, weil es nicht so ein verblasener Sting-Jazz ist wie in "Leaving Las Vegas". Man soll ja nicht böse sein, aber hast Du dieses Ding gesehen?

Hat mir nicht gefallen. Weder der Film noch die Musik.

Vielen Dank. Prätentiöses Zeug.

Yeah, na ja, es war interessant, aber das Ding mit der Prostituierten, das ist so stumpfsinnig. Diese ganze Weltanschauung: Laßt mich euch zeigen, wie gescheit ich bin. Um es noch mal zu sagen: ich werde ungern bevormundet. Ich kann mir auch ein prätentiöses Buch vornehmen, wenn ich Zeit verschwenden muß. Aber Mike Figgis ist trotzdem ein interessanter Typ – ich war nie ein Fan von ihm, aber es gab da ein Interview... das kam im öffentlich-rechtlichen Radio, ich wusste gar nicht, wer da redet, bis sie’s hinterher gesagt haben, ich habe nur die Stimme gehört, und er redete über digitale Videotechnik und warum wir die Sachen noch nicht alle digital filmen – die ganze Idee ist noch nicht auf der Höhe ihrer selbst, und es gibt noch nicht die einheitliche Technologie, die alle benutzen wollen, das entwickelt sich noch. Also, er denkt schon über sein Handwerk nach, und was es mit anderen Dingen zu tun hat, es ist nicht nur alles Selbstbefriedigung. Und außerdem hat er "The Browning Version" gemacht, der war gut. Hat mir gefallen. Es ist was dran. Vielleicht lässt er sich einfach hin und wieder zu sehr von seiner KUNSCHT überwältigen.
Interview: Dietmar Dath

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